Die Psychiatrie steht vor wichtigen Herausforderungen und Aufgaben: der Anstieg (schwerer) psychischer Erkrankungen und die höhere Service-Inanspruchnahme, sich verändernde Evidenzen bezüglich Psychiatriestrukturen, neue (ambulante) Versorgungsmodelle, Ambulantisierung, sektorenübergreifende und interdisziplinäre Zusammenarbeit, neue Therapien mit neuen Therapiepfaden, Fachkräftemangel, Digitalisierung, Ressourcenknappheit, ... – die Liste ist lang, die Anforderungen komplex und der Interessensausgleich schwierig. Um entsprechende Veränderungen erfolgreich umzusetzen braucht es eine Vision, Unterstützer, aktive Beteiligung, Planung, und einen erkennbaren Nutzen für alle Interessengruppen (Patienten, Leistungserbringer, Leistungsfinanzierer). Der Vortrag „Recovery – Zukunft der Psychiatrie“ hat zwei Ziele: (1) den wissenschaftlichen Stand zu den o.g. Herausforderungen und Aufgaben mit Blick in die Zukunft darzustellen und (2) die Erläuterung des sogenannten RECOVER-Versorgungsmodells, welches – durch den Innovationsfonds in Deutschland gefördert – von 2017 bis 2021 in Hamburg implementiert und in einer großen randomisiert-kontrollierten Studie untersucht wurde.
Zentrum für Psychosoziale Medizin
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine häufige – nicht auf das Kindesalter begrenzte – Entwicklungsstörung. Bis zu 70% der Kinder weisen auch im Erwachsenenalter noch ADHS-Symptome und/oder funktionelle Beeinträchtigungen auf. Für die Diagnostik und Behandlung liegen evidenz-basierte S3-Leitlinien vor ADHS ist gehäuft mit weiteren psychischen und somatischen Erkrankungen assoziiert und stellt einen Risikofaktor für ungünstige psychosoziale Folgen einschließlich verfrühter Mortalität dar. Bis zu 80% der phänotypischen Varianz lasse sich auf genetische Faktoren und ihre Interaktion mit Umweltfaktoren zurückführen.
Die Diagnostik umfasst eine gründliche klinische Differentialdiagnostik, strukturierte Interviews und Fragebögen sowie eine Fremdanamnese. Das Behandlungskonzept basiert wesentlich neben einer ausführlichen Psychoedukation auf einer medikamentösen Behandlung (Stimulanzen erste Wahl) und bezieht psychosoziale und vorrangig kognitiv-behaviorale Therapien mit ein.
Die Liaisonpsychiatrie hat in den letzten Jahrzehnten in Krankenhäusern (und im ambulanten Bereich) eine beeindruckende Entwicklung durchgemacht, und die psychiatrische Beratung von Patienten mit somatischen Erkrankungen verbreitet sich inzwischen auch unter Allgemeinmedizinern (Community Liaison). Dies ist ein vielversprechender Schritt in Richtung einer gemeinsamen Liaisonpsychiatrie. Es gibt jedoch noch viele Herausforderungen in Bezug auf das Modell dieser psychiatrischen Sprechstunde, die auf dieser Konferenz diskutiert werden. Auch die Liaisonarbeit, d.h. die Arbeit mit Klinikern, hat sich weiterentwickelt. Ursprünglich dazu gedacht, die Somatiker für die psychologischen Aspekte der Krankheit und die psychiatrische Komorbidität der Patienten zu sensibilisieren, erfüllt sie heute verschiedene andere Funktionen. Da die psychiatrische Liaison aufgrund fehlender Ressourcen oft im Schatten der Beratungstätigkeit steht, verdient sie es, investiert und überdacht zu werden. Mögliche Umstrukturierungen und Entwicklungen der psychiatrischen Liaison auf klinischer und akademischer Ebene werden ebenfalls diskutiert, ebenso wie die Rolle, die bestimmte sozialwissenschaftliche Disziplinen dabei spielen sollten.
Universitätsstudium in Zürich, Ausbildung zum Assistenzarzt in Pathologie, Innerer Medizin, Palliativmedizin und Psychiatrie, ergänzt durch einen zweijährigen Forschungsaufenthalt in Psychoonkologie am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York. Seit 2006 Abteilungsleiter der Abteilung für Liaison-Psychiatrie des Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV). Klinisch in der psychoanalytischen Achse verankert, mit einem Interesse an der Integration der Sozialwissenschaften in den Bereich der Liaisonpsychiatrie. Forschungsarbeiten zur Identifizierung komplexer Patienten im somatischen Bereich, zur Psychotherapie mit Patienten, die von somatischen Krankheiten betroffen sind, zur Kommunikation und Interaktion zwischen Behandelnden und Behandelten sowie zur Untersuchung der Erfahrungen von Klinikern. Anhaltende Supervisions- und Lehrtätigkeit in der Arzt-Patienten-Kommunikation von Onkologen und Endokrinologen. Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Palliative Care (1999-2005), Vizepräsident der Krebsliga Schweiz (2006-2007), Mitglied der National Task Force for Communication Training in Oncology, Cancer Prize (2017) und Frits Huyse Award der European Association of Psychosomatic Medicine (2019).